Wenn der Kaffee-Zufallsmoment plötzlich fehlt …
Elisa Kübel: Herr Krumm, welchen Einfluss hat Ihrer Meinung nach der Digitalisierungstrend auf die Zusammenarbeit von Teams? Insbesondere im Hinblick auf New Work seit der Corona-Pandemie?
Rainer Krumm: Also, wenn man Corona irgendetwas Positives abgewinnen kann, dann ist es das Thema „Digitalisierung und mobiles Arbeiten“. Das hat wirklich einen Turbo erlebt. Wichtig ist aber, die virtuelle Zusammenarbeit ist im Zweifelsfall eine andere als eine persönliche Zusammenarbeit. Sie kennen das sicher auch. Stellen Sie sich vor, Sie haben mir heute Morgen eine E-Mail geschrieben, und ich denke mir: „Was hat sie denn heute schon wieder?“ Und bin vielleicht ein bisschen sauer. Danach treffen wir uns zufällig an der Kaffeemaschine und stellen fest, da war ja gar nichts. Ich habe es falsch verstanden, also alles gut. Im Homeoffice gibt es aber diesen Kaffee-Zufallsmoment nicht, da bin ich womöglich drei Tage stinkig auf Sie und das völlig unberechtigt. Daher bin ich überzeugt, dass die virtuelle Zusammenarbeit anders aufgebaut werden muss, und dann kann das super funktionieren.
Elisa Kübel: Würden Sie sagen, dass teamübergreifend die Missverständnisse oder Konflikte zugenommen haben?
Rainer Krumm: Massiv! Wir haben im Moment deutlich mehr Anfragen für Konflikt-Workshops.
Elisa Kübel: Das ist interessant. Könnten Sie das bitte etwas näher beschreiben?
Rainer Krumm: Die Kommunikation musste sich ändern – oder hätte sich ändern sollen ... Und ich spreche jetzt nicht von der Sprache in E-Mails oder Chat-Rooms, sondern von Sprache als Äquivalent zu den kurzen Blicken, die man sich über den Schreibtisch zugeworfen hat, oder zum Flurfunk an der Kaffeemaschine. Durch das räumlich getrennte Arbeiten entstand ein regelrechter Energie- bzw. Beziehungs-Cut. Der Hygiene-Faktor entfiel komplett. Damit meine ich, dass man sagt: „Okay, jetzt haben wir uns zwar in einem Meeting ordentlich die Köpfe eingehauen, aber dann sind wir gemeinsam in die Kantine gegangen. Und da haben wir festgestellt, dass die Wertschätzung und das Gefühl der Gemeinsamkeit doch extrem hoch ist.“ Digital klappt das nicht, und daher werden Konflikte länger mit sich rumgetragen und auch deutlich persönlicher genommen.
Früher glänzte man durch Anwesenheit – heute muss jeder allein abliefern
Elisa Kübel: Herr Krumm, wie schätzen Sie den Einfluss der digitalen Zusammenarbeit auf die Leistungseffizienz von Teams ein?
Rainer Krumm: Bevor ich auf die Teams eingehe, möchte ich gerne etwas sagen. Prinzipiell hat das Thema der Eigenständigkeit, der Selbstverantwortung deutlich zugenommen. Die Kollegin sitzt nicht mehr einen Raum weiter, und auf das nächste Meeting zu warten, ist verschenkte Zeit, also mache ich es schnell selbst. Das ist jetzt vielleicht etwas überspitzt formuliert, aber früher glänzte man in Teams durch Anwesenheit. Heute muss man zeigen, dass man etwas schafft – und das selbstverantwortlich alleine.
Elisa Kübel: Welche Auswirkungen hat dies Ihrer Einschätzung nach auf die Zusammenarbeit im Team?
Rainer Krumm: Was die „Sache“ angeht, ist mir aufgefallen, dass es hauptsächlich themen- bzw. tätigkeitsbezogen große Unterschiede gibt. Auch wenn sich das jetzt nach Klischee anhört, aber Teams von IT-Programmierern haben eine andere Teamzusammenarbeit als eine kreative Entwicklungsabteilung, die Prototypen bastelt. IT-Entwickler, die im gleichen Büro sitzen, sprechen den ganzen Tag wenig. Da spielt der Unterschied Homeoffice und Büro kaum keine Rolle. Sind es aber Vertriebler oder eine Marketing-Abteilung, die auch den persönlichen Austausch brauchen, dann ist das eine ganz andere Liga. Oder in der Steuerberatung. Die können ihrer Tätigkeit im Homeoffice hochkonzentriert und effizient nachkommen. Es benötigt keine großen Interaktionen mit anderen, um den Job zu erledigen.
Elisa Kübel: Und wie sehen die Auswirkungen auf die Teamkultur aus?
Das Wir-Gefühl bleibt auf der Strecke
Rainer Krumm: Wir sprachen eben über die Auswirkungen auf die „Sache“ an sich, themen- bzw. tätigkeitsbezogen. Hier kommen wir auf den emotionalen Bereich der Auswirkungen zu sprechen. Auch wenn es Jobs in der Firma gibt, die nicht zwingend Interaktion verlangen, so ist es doch immer ein individuelles Empfinden, ob ich lieber alleine zu Hause arbeite oder im Büro – auch wenn einem der direkte Kontakt mit den Kollegen gar nicht so wichtig ist. Das Commitment zur Organisation ist in den letzten Jahren massiv zurückgegangen. Die persönliche Bindung. Und da sehe ich den Fehler bei den Führungskräften, die einfach nicht genug dafür getan haben. Aber auf diesen Aspekt möchte ich gerne zu einem späteren Zeitpunkt intensiv eingehen.
Elisa Kübel: Wie genau äußert sich die Abnahme der Bindung zu den Teamkolleg:innen und zur Organisation?
Rainer Krumm: Wie eingangs erwähnt, sind die Konflikte schärfer geworden. Die Missverständnisse haben deutlich zugenommen. Wo man früher vielleicht mal eine Kröte geschluckt hat, ist heute die Bereitschaft „Hey ganz ehrlich, die können mich mal gerne haben, ich gehe jetzt einfach“ an der Tagesordnung. Merkt ja keiner, ob ich in Job-Portalen unterwegs bin oder bei LinkedIn nach neuen Herausforderungen suche. Der Markt hat sich verändert. Die Wahrscheinlichkeit, schnell einen anderen Job zu finden, ist heute bedeutend höher, als sie es noch vor zwei bis drei Jahren war.
Danke für das interessante Gespräch rund um die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Teamkultur, Elisa Kübel und Rainer! In unserem nächsten Blogbeitrag erfahrt ihr, wie eine schlaue digitale Meeting-Kultur die Zusammenarbeit im Team stärken kann.